4 Kontinente, 28 Länder und unzählbare Erlebnisse. So oder so ähnlich würde es sich anhören, würde ich meine Reisen in den sozialen Medien präsentieren. Aber was wollen wir eigentlich zur Schau stellen, wenn wir unsere Reiseerfahrungen so offensiv vorführen – unseren reichen Erfahrungsschatz, unsere Offenheit, unser ereignisreiches Leben? Oder drückt sich im Reisen eventuell etwas ganz anderes aus, nämlich unsere Suche, die Suche nach Sinn, Anerkennung und dem perfekten Leben?
Mit Eltern aus zwei völlig unterschiedlichen Kulturkreisen und einer Mutter, die sich sehr für andere Länder und Sitten interessiert und wenn immer möglich unterwegs ist, ist mir die Reiselust quasi in die Wiege gelegt. Dabei waren wir in den ersten Jahren in unserem Bewegungsradius relativ eingeschränkt. Geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR lagen uns statt der Welt nur Ostsee, Sächsische Schweiz und andere bei DDR-Bürgern beliebte Urlaubsziele zu Füssen. Dies tat unserer Reisefreude jedoch keinen Abbruch. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt? Erholung und Lebensfreude sind schliesslich eine innere Einstellung. Bei Campingaufenthalten an nahegelegenen Seen mit Familie und vielen Kindern zum Spielen verging die Ferienzeit wie im Flug. Bezogen auf die Bewegungsfreiheit ist die aktuelle Coronakrise fast wie eine Zeitreise zurück in meine Kindheit. Wieder einmal entdecke ich die Schönheit der Natur und Orte um mich herum, statt bei jeder Gelegenheit ins nächste Transportmittel zu springen und mich weit fort tragen zu lassen, um Abenteuer zu erleben. Und doch sind es gerade die Einschränkungen der DDR-Zeit, die unser Reisetagebuch bis heute massgeblich geprägt haben. So packen wir seit 1990 jährlich unsere Koffer für einen kurzen Ausflug in eine andere Welt.
Reisegeschichte
Bis vor zwei Jahren schaute ich immer ein wenig neidisch auf die vielen Orte, die Freunde, Kollegen oder völlig fremde Social Media Traveller schon bereist hatten. Seitdem Corona jegliches Reisen unmöglich gemacht hat, ist mir jedoch bewusst geworden, wie viel ich selbst schon gesehen habe.1 Zudem war es noch nicht vielen Generationen vor uns vergönnt, so viel und so weit zu reisen, wie uns.
Reisen war aufgrund fehlender Verbindungen und Transportmittel beschwerlich und teuer. Bis ins Mittelalter reisten die Menschen in der Regel nur zu wirtschaftlichen Zwecken. Später begannen Gutsituierte und Adlige Bildungsreisen zu unternehmen. Erst ab dem 19. Jahrhundert etablierten sich Vergnügungs- und Erholungsreisen, wie wir sie heute kennen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts blieben aber auch diese der bessergestellten Bevölkerung vorenthalten, bevor günstige Flug-, Zug- und Schiffsreisen auch dem Ottonormalverbraucher zugänglich wurden. Und auch heute reisen weit weniger Menschen so exzessiv, wie wir, aufgrund der Bilder, Geschichten und Erfahrungsberichte, die täglich auf uns einprasseln, vermuten würden. So war ich äusserst erstaunt, als ich erfuhr, dass ein ehemaliger, jüngerer Kollege, dessen DNA eigentlich das Reisegen enthalten sollte, Europa bisher nie verlassen hat. Auch meine Geschwister in Tansania haben bisher nur ihr eigenes Land bzw. dessen angrenzende Länder besucht. Dass sie deshalb ihre Ausflüge weniger geniessen, möchte ich bestreiten.
Warum muss ich also überhaupt eine beschwerlich Anreise über Stunden oder sogar Tage in Kauf nehmen, nur um auf der anderen Seite der Welt Erlebnisse zu sammeln? Kann ich das nicht genauso gut vor meiner Haustür? Entdecke ich nicht immer wieder Neues in meiner Umgebung, wenn Freunde und Familie bei mir zu Besuch sind und ich ihnen meine neue Heimat zeige? Ja, warum trage ich eigentlich dieses grosse Fernweh in mir?
Reisegründe
Ein Grund für meine Wanderlust ist sicherlich die Tatsache, dass ich ein Mensch bin, der viel Abwechslung braucht. Die immer wieder gleichen Routinen und Abläufe lassen bei mir schnell Langeweile aufkommen. Das zeigt sich auch in meiner Berufswahl als Marketerin oder bei meinen Hobbies. Ich habe getanzt, geschneidert, war bei den Pfadfindern, mache Yoga und ja eben reise (bis vor Kurzem zumindest).
Das Spannendste dabei ist es für mich, neue Lebensweisen kennen zu lernen. Deshalb ziehe ich Besuche bei Freunden und Bekannten einem Pauschalurlaub, bei dem alles bereits vorgegeben ist und ich touristische Pfade nie verlasse, vor. Auch plane ich ausser meinem Schlafplatz nie viel im Voraus, sondern lasse mich vor Ort inspirieren. Verpasse aber deshalb manchmal die eine oder andere touristische Attraktion. Mir ist es wichtiger, Menschen vor Ort kennenzulernen. So erhielten meine Mutter und ich, dank eines privaten Guides, einen nicht alltäglichen, interessanten Einblick in die nachhaltige Szene von Haarlem in den Niederlanden, Kollegen und Freunde zeigten mir ihr privates Indien und in Tansania habe ich noch nie einen Nationalpark betreten, dafür aber die Freundlichkeit und Wärme (m)einer riesigen Familie erfahren.
Reisen ist neben dem Sammeln neuer Eindrücke ein ultimativer Beziehungstest. Ist deine beste Freundin wirklich der Mensch, für den du sie immer gehalten hast? Wenn ihr 24 Stunden am Tag zusammen seit und plötzlich kleine alltägliche Entscheidungen, die bisher keine Rolle spielten, gemeinsam treffen müsst, kann das eine Freundschaft ganz schön auf die Probe stellen. Ich habe deshalb nur wenige Menschen, mit denen ich seit Jahren immer wieder verreise, weil es einfach passt. Ansonsten habe ich auch kein Problem damit, allein unterwegs zu sein. Ob Indien, Istanbul, Italien, Marokko etc., schon viele Orte habe ich ohne Begleitung bereist. Zum einen lernt man in der Regel immer jemanden kennen, zum anderen ist man unabhängig und hat endlich einmal Zeit und Muse ganz in Ruhe über sich, sein Leben und seine Ziele nachzudenken.
1 Meine bisherigen Reiseziele
Afrika
Amerika
Asien
Europa
Marokko
Tansania
Tunesien
USA
Indien
Vereinigte Arabische Emirate
Bulgarien
Dänemark
Deutschland
England
Frankreich
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Island
Italien
Lettland
Malta
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